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Bundesamt für Naturschutz

Phocoena phocoena - Schweinswal

Geschützt nach
Anhang II FFH-Richtlinie
Anhang IV FFH-Richtlinie
EU-Code
1351
Artengruppierung
Sonstige Säugetiere
Synonyme
Linnaeus
Status Rote Liste Deutschland
(Meinig et al. 2020): 2 (Stark gefährdet)
Status Rote Liste Europa
(Braulik et al. 2020): LC (Nicht gefährdet)

Beschreibung

Unser einziger Wal ist einer der kleinsten

In den deutschen Meeresgebieten von Nord- und Ostsee lebt nur eine Walart, die dort auch regelmäßig ihre Jungen zur Welt bringt. Der Schweinswal ist der kleinste Wal in Europa und hat natürlich nichts mit (Meer-)Schweinen zu tun, wie der polnische und der dänische genauso wie der deutsche Name suggeriert. Unsere heimische Walart lebt zurückgezogen und unauffällig. Deshalb wissen viele Menschen nicht einmal von ihrer Existenz. Mit etwas Glück kann man sie bei glatter See jedoch relativ leicht von einem Segelboot aus sehen.
Schweinswale leben ganzjährig in der Nord- und Ostsee und treten meist einzeln oder in kleinen Gruppen auf. Doch unternehmen sie teilweise auch saisonale Wanderungen, wobei sie vermutlich ihrer Beute folgen oder vor einer winterlichen Vereisung ausweichen. Von den drei Vorkommen in deutschen Gewässern scheint der Bestand der Nordsee zumindest im Süden (u.a. Deutsche Bucht) zuzunehmen, wohingegen der Bestand der Beltsee (u.a. um Fehmarn und in der Kieler Bucht) dramatisch abnimmt und der Bestand in der zentralen Ostsee schon seit Jahren als vom Aussterben bedroht gilt. Hauptursachen der Bedrohung unserer kleinen Wale sind Beifang in Fischereinetzen, Unterwasserlärm und eine schleichende Vergiftung.

Der Schweinswal lebt in kleinen Gruppen meist in Gebieten bis 200 m Wassertiefe, wo er bodenlebende Fische jagt. Dazu bedient er sich, wie alle Zahnwale, seiner Echoortung, mit der er – ähnlich wie Fledermäuse – sich orientiert und seine Beute findet und fängt. Die Reichweite dieser akustischen Orientierung mit Ultraschall hängt jedoch stark vom Umgebungslärm ab (Maskierung). Außerdem kann das empfindliche Gehör der Schweinswale leicht durch menschlichen Lärm geschädigt werden (Bräger & Zweifel 2009).

Für den Schweinswal sind bisher eine Vielzahl von Nahrungsfischarten festgestellt worden: Hering, Seehecht, Lodde, Sprotte und Wittling (Read 1999) sowie Sardine, Stint, Sandaal, diverse Plattfische, Stintdorsch und Aalmutter (Santos & Pierce 2003). Der Schweinswal wird daher oft als Nahrungsopportunist bezeichnet, doch zeichnen sich je nach Meeresgebiet und Jahreszeit deutlich Vorlieben ab. In der Ostsee finden sich z.B. Hering, Dorsch, Wittling, Sprotte und Sandaal häufig in Schweinswalmägen (Sveegaard 2011). Manche dieser Fischarten, wie z.B. der Hering, legen typische saisonale Wanderungen zurück, denen Schweinswale teilweise zu folgen scheinen, denn in bestimmten Jahreszeiten stimmt ihr Auftreten in hohem Maße mit dem ihrer bevorzugten Beutefische überein (Sveegaard 2011).

Lebensraum

Weltweit nutzt der Schweinswal hauptsächlich die relativ flachen Gebiete auf den Kontinentalschelfen, wo er meist bodennah seine Beute fangen kann. Über ihr gesamtes Verbreitungsgebiet nutzt die Art eine Vielzahl von verschiedenen Lebensräumen von flachen Buchten bis zu tiefen Fjorden und von der offenen See bis in Flussmündungen, wobei allerdings Gewässer mit Temperaturen über 17°C gemieden werden (Read 1999).

Der Schweinswal kann in allen Bereichen der deutschen Meeresgebiete auftauchen und schwamm - zumindest früher - auch regelmäßig die größeren Flüsse weit hinauf, wie z.B. in der Elbe bis nach Hamburg und in der Weser. Das bedeutet, er nutzt auch flache Küstengebiete gern. In jedem Fall bevorzugt er wenig gestörte Gebiete mit reichlichen Fischvorkommen, wobei die Beschaffenheit des Untergrundes zweitrangig zu sein scheint, solange genügend Beute vorhanden ist.

In manchen Gebieten Großbritanniens beeinflusst die Verbreitung von Großen Tümmlern die der Schweinswale, da die großen Vettern zunehmend Jagd auf (junge) Schweinswale machen und sie aus unbekannten Gründen töten.

Fortpflanzung/Biologie

Im Vergleich mit anderen Zahnwalen haben Schweinswale einen relativ schnellen Lebenszyklus (Read & Hohn 1995): Weibchen werden bereits mit 3-4 Jahren geschlechtsreif und haben dann jedes Jahr ein Kalb, was bedeutet, dass sie ständig ein Junges säugen, während sie schon mit dem nächsten schwanger sein können. Die ältesten festgestellten Tiere waren immerhin 24 Jahre alt. Menschliche Nutzungsaktivitäten im Meer können den Lebenszyklus des Schweinswals in vielfältiger Weise beeinflussen, wobei sie meist die Gesundheit der Tiere beeinträchtigen. Insbesondere die Fischerei mit sogenannten Stellnetzen kann in Gebieten mit großer Netzdichte zu hohen Beifängen führen (z.B. Vinther & Larsen 2004). Auch das Überfischen der Nahrungsfische oder die Veränderung ihres Vorkommens z.B. durch Klimaveränderungen könnte schwerwiegende Folgen für die Schweinswale haben (MacLeod et al. 2007).

Schifffahrt und industrielle Offshore-Aktivitäten, wie z.B. seismologische Erkundungen und Explosionen oder das Rammen von Fundamenten für Windkraftanlagen oder andere Bauwerke erzeugen unter Wasser Lärmpegel, welche die Schweinswale zum Verlassen bevorzugter Jagdgründe zwingen können oder gar ihr empfindliches Gehör schädigen (z.B. Evans 2008). Die Anreicherung von Umweltgiften in der Nahrungskette führt zu hohen Konzentrationen in den Geweben der Schweinswale, welche ihr Immunsystem schädigen oder ihre Fruchtbarkeit reduzieren.

Lokale Population

Abgrenzung der lokalen Population

Die Schweinswale des Atlantiks und des Pazifiks gelten als verschiedene Unterarten (Phocoena phocoena phocoena bzw. Phocoena phocoena vomerina); eine weitere ist für das Schwarze Meer anerkannt (Phocoena phocoena relicta) (Viaud-Martinez et al. 2007). Darüber hinaus existieren in Europa weitere genetisch und morphologisch eigenständige (Sub-)Populationen, u.a. in der Nordsee, im Kattegat-Beltsee und in der zentralen Ostsee (Palmé et al. 2004, Evans & Teilmann 2009, Wiemann et al. 2010). Diese drei Vorkommen scheinen schon relativ lange kaum genetischen Austausch miteinander zu haben, wenn man bedenkt, wie jung die Ostsee in geologischen Zeiträumen ist. Die Aufenthaltsorte von 82 mit Sendern in der dänischen Beltsee und im Skagerrak markierten Schweinswalen ergaben auch eine deutliche räumliche Trennung der beiden Vorkommen (Sveegaard 2011). Eine populationsbiologische Unterteilung innerhalb der Nordsee-Vorkommen ist bisher nicht eindeutig gelungen. Der gesamte Nordsee-Bestand könnte somit einer oder mehreren biologischen Populationen angehören und umfasst wenige hunderttausend Individuen.

Die Bestandsgrößen der Kattegat-Beltsee-Population und der zentralen Ostsee-Population sind in den vergangenen Jahren dramatisch zurückgegangen (Sveegaard 2011):

  • Beltsee: von geschätzten 11.900–64.500 Individuen (1994) auf nur 5.800–20.200 Individuen (2005)
  • Zentrale Ostsee: von geschätzten 200–3.300 Individuen (1995) auf nur 10–460 Individuen (2002).

Die Vorkommen in den deutschen Teilen von Nord- und Ostsee wurden ebenfalls wiederholt mit verschiedenen Methoden erfasst (Scheidat et al. 2004, 2006, 2008, Verfuß et al. 2006, 2007). Der Bestand in der Deutschen Bucht gehört dem großen Nordseebestand (möglicherweise mit mehreren Populationen) an, wohingegen in der Kieler und Mecklenburger Bucht südliche Anteile der Beltsee-Population vorkommen, die sich um Rügen herum jahreszeitlich mit der kleineren Population der zentralen Ostsee abwechseln. Damit liegen in der deutschen Nord- und Ostsee mindestens drei lokale Populationen vor.

Gefährdung

Die größte Gefahr geht in der Nord- und Ostsee von der kommerziellen Fischerei aus (Beifänge in der Treib- und Stellnetzfischerei). Als oberstes Glied der Nahrungskette ist der Schweinswal zusätzlich durch hohe Schadstoffkonzentrationen gefährdet. Weitere Gefahren sind Unterwasserlärm und die Überfischung der Nahrungsfische.

Der Schweinswal ist hauptsächlich durch Ersticken in Fischereigeschirr (Beifang) sowie durch Unterwasserlärm und schleichende Vergiftung gefährdet.

Fischereiwirtschaft

Weltweit kommen Schweinswale jährlich zu Tausenden in Fischereigeschirr, insbesondere in am Boden gestellten Kiemennetzen, ums Leben. Auch in deutschen und benachbarten Gewässern kommt es zu viel zu hohen Beifängen (Kock & Benke 1996, Skora & Kuklik 2003), die europaweit durch den Einsatz akustischer Scheuchgeräte – sogenannter Pinger – reduziert werden sollen (z.B. Palka et al. 2008). Obwohl der Einsatz von Pingern durch EU-Verordnung 812/2004 vorgeschrieben wurde, ist der Beifang vermutlich kaum zurückgegangen, da die Verordnung nur für bestimmte Fischereien und nur für einen kleinen Anteil der Flotte und nur für große Schiffe (> 12 m lang) gilt. Die vom Aussterben bedrohte Population der zentralen Ostsee könnte sich z.B. nur dann erholen, wenn der gesamte jährliche Beifang auf unter zwei Tiere in der gesamten Ostsee gedrückt werden könnte (Berggren et al. 2002). Da die bisher ergriffenen Reduktionsmaßnahmen nur ungenügenden Erfolg erbracht haben, schufen z.B. Koschinski & Strempel (2010) einen Maßnahmenkatalog, der eine erfolgreiche Beifangvermeidung garantieren soll.

Sonstige

  • Offshore-Industrie und Lärm-Emittenten
    Der starke Unterwasserlärm, der von Menschen in den Lebensraum des Schweinswals eingebracht wird, kann je nach Schalldruck von Verhaltensänderungen über Gehörschäden bis zum Tod führen. Hierbei sind neben der Schifffahrt vor allem knallartige Schalleinträge zu nennen, wie sie bei seismologische Erkundungen mit sogenannten Airguns, sowie bei Explosionen und durch Rammschall freigesetzt werden. Die fatalen Auswirkungen dieses Lärms auf sich akustisch orientierende Schweinswale in Nord- und Ostsee werden in jüngster Zeit zunehmend erkannt (Carstensen et al. 2006, Madsen et al. 2006, Lucke et al. 2007, Evans 2008, Gilles et al. 2009, Tougaard et al. 2009, Brandt et al. 2011).
    Southall et al. (2007) haben das weltweite Lärmproblem eingehend beleuchtet und bieten eine Reihe von Gegenmaßnahmen.
  • Chemische Industrie und industrielle Einleiter
    Die Einleitung von Schwermetallen und kaum abbaubaren organischen Giften führen zu einer ständig anwachsenden Anreicherung z.B. im Fettgewebe der Schweinswale. Die negativen Auswirkungen, z.B. von polychlorierten Biphenylen (PCB) auf die Gesundheit (z.B. auf das Immunsystem) und auf die Fruchtbarkeit der Tiere sind schon seit Längerem bekannt (Kleivane et al. 1995, Berggren et al. 1999, Bruhn et al. 1999, Beineke et al. 2005, Strand et al. 2005, Law et al. 2008). Dabei wird regelmäßig auch der Grenzwert von 17 µg ΣPCB / g Körperfett überschritten, der bei Meeressäugern nachweislich zu Problemen bei der Fortpflanzung (Kannan et al. 2000) und zu höherer Sterblichkeit durch Infektionen führt (Jepson et al. 2005).

Erhaltungszustand

  • Atlantische Region: ungünstig - unzureichend
  • Kontinentale Region: ungünstig - schlecht

Literaturhinweise

Huggenberger, S. und Benke, H. (2004): Phocoena phocoena (Linnaeus, 1758). In: Petersen, B., Ellwanger, G., Bless, R., Boye, P., Schröder, E., und Ssymank, A. (Bearb.): Das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000. Ökologie und Verbreitung von Arten der FFH-Richtlinie in Deutschland. Band 2: Wirbeltiere. - Bonn-Bad Godesberg (Landwirtschaftsverlag) - Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz 69(2): 551-557.

Autor*in

Kontaktinformationen für weitere Auskünfte und Hilfestellungen

Für weitere Hinweise zur Art und Hilfestellungen für die Bewirtschaftung der Lebensräume wenden Sie sich bitte an die für Sie zuständige Naturschutzbehörde in Ihrer Region.

Experten

Bundesamt für Naturschutz
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UN Campus
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Katharinenberg 14-20
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Forschungs- und Technologiezentrum Westküste
der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
Hafentörn 1
25761 Büsum

Autor

Dr. Stefan Bräger

Unter Mitarbeit von

Karola Szeder

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